Tiny House sucht Zuhause

Nachhaltig, günstig, schnell – minimalistisches Wohnen auf kleinem Raum erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Mit innovativen Ideen baut eine Firma aus der Region die Häuser schlüsselfertig und nach individuellen Bedürfnissen. Die Nachfrage ist riesig, doch die Grundstücke fehlen. Denn: Die Kommunen zögern und das Baurecht hinkt dem Trend hinterher.

Gerade werden Bierdeckel-große Löcher in das Holzskelett gebohrt. Draußen ist es bereits dunkel, doch hinter dem schweren Werkstatttor in Altheim bei Landshut machen Leon Pütz und sein Mitarbeiter Christian Bauer wieder mal Überstunden. „Das ist für die Steckdosen, bei so einem Tiny-House ist alles aus einer Hand, die Holzkonstruktion, das Dach, der komplette Innenausbau, die Wasser- und Kanalanschlüsse und eben auch die Elektroinstallation.“ Dafür muss aber am Anfang schon an alles gedacht werden. Jedes Modell, jeder Entwurf ist quasi ein Unikat. Etwa ein Monat präzise Vorplanung  und vier Wochen Produktion stecken in einem Tiny House. Tiny, englisch für winzig, sind die Bauten im Vergleich zu einem herkömmlichen Einfamilienhaus tatsächlich, riesig aber gerade der Hype um diese etwas andere Form des Wohnens.  Die kleinen, voll nutzbaren Holzhäuser sind mittlerweile keine exotische Absonderlichkeit mehr, sondern auch in Bayern angekommen. Leon Putz führt durch den „Rohbau“ wie bei einer Wohnungsbesichtigung: „Das hier wird eine kleine Physiopraxis, die sich die Kundin praktisch als neuen Arbeitsplatz in ihren Garten bauen lässt, das hier wird der Behandlungsraum, und hier gibt es so was wie ein Wartezimmer. Fertig.“

Einfamilienhaus oder Sauna? – Hauptsache flexibel und ökologisch

Mit seinen ca 24 qm ist die Gartenpraxis eher kleiner dimensioniert. Bis zu 3 Meter breit und 10 Meter lang kann das größte Modell sein. „Die Außenmaße sind dabei die einzige Grenze, die gesetzt ist. Beim Rest können wir der Kreativität freien Lauf lassen. Da ist fast alles möglich.“ Und das ist auch das, was die beiden so reizt. Leon Putz, 26 Jahre alt und der Mastermind hinter der Tiny House-Produktion, hat an die Schreiner-Lehre ein Studium zum Bauingenieur, Schwerpunkt Innenausbau, gehängt. Beste Voraussetzungen also, um solche Projekte ganzheitlich zu denken. Und auch sein Mitarbeiter ist eigentlich Architekt, wollte sich jetzt aber beruflich noch mal neu erfinden. „Ich war eigentlich immer schon sehr am Handwerklichen interessiert“, sagt der 40jährige und legt den Bohrer dafür mal kurz zur Seite. „Jetzt bin ich vom Bürohengst zum Praktiker geworden!“ Mal wird aus dem Holz-Korpus eine Sauna, mal eine zünftige Almhütte, ein Home-Office-Büro oder ein neues Zuhause für eine mehrköpfige Familie. Gebaut wird, was gewünscht wird.

Die Lösung für den Mangel an bezahlbarem Wohnraum?

Mit drei Monaten Produktions- und etwa einem Tag Bauzeit ist das Tiny House quasi in Rekordzeit bezugsfertig. Und kann bei Bedarf innerhalb weniger Stunden wieder „verschwinden“. „Alle Fundamente sind rückbaubar“, betont Leon Putz, „die Holz-Module können in kürzester Zeit an einem anderen Ort wieder aufgebaut werden.“ Massiv-Holz ist dabei nicht nur ein nachwachsender Rohstoff, sondern auch bei der Entsorgung ökologisch unproblematischer als viele andere, chemische Baustoffe. Ein Haus – vollständig abbaubar, im doppelten Wort-Sinne.

Und auch die Kosten sind überschaubar: Der Preis für das schlüsselfertige Endprodukt liegt – je nach Größe und Ausführung – bei 50 000 Euro aufwärts.

Geringe Bauzeit, erschwingliche Kosten, nachhaltig, flexibel. Die Häuser entsprechen dem KfW 55-Standard, was die Energiekosten sehr niedrig hält. In Zeiten von explodierenden Rohstoffpreisen, Bauboom und einem überhitzten Wohn- und Immobilienmarkt könnte das Tiny House für viele die ideale Lösung sein, um sich ihren Traum vom Eigenheim doch noch irgendwie verwirklichen zu können. Und für die Politik die Chance, schnell bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Könnte, denn es gibt da ein Problem: Es fehlen Grundstücke.

Bebauungspläne und Baurecht nicht zeitgemäß

„Da drückt der Schuh im Moment. Wir haben extrem viele Anfragen. Die Leute sind begeistert. Aber dann scheitern viele an der Frage: wo könnte und darf ich mein Haus denn überhaupt hinstellen?“ schildert Leon Putz. Eigentlich absurd: Gerade in den Ballungsräumen und Boom-Regionen wird neuer, effizient genutzter Wohnraum dringend benötigt. Und gleichzeitig soll der anhaltende Flächenfraß endlich gestoppt werden. Ein Widerspruch, der die Kommunalpolitik vielerorts umtreibt. Das Tiny House könnte das Dilemma teilweise auflösen. Nachverdichtung heißt das Zauberwort. Und tatsächlich entdeckt man auf den Stadt- und Dorfplänen viele weiße Flecken innerhalb der Ortskerne oder bestehender Siedlungen. Warum wird nicht auf diese schnelle, mobile Lösung gesetzt?

„Im Gespräch erleben wir viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aufgeschlossen“, erzählt Michelle Kammermeier, Cousine von Leon Putz und Mitgründerin der freiRÄUME-Landshut. „Aber beim Blick auf die Bebauungspläne ist dann schnell Schluss. Einfach, weil es die Möglichkeit von Tiny-Häusern nicht gab, als die Pläne beschlossen wurden. Oder diese Möglichkeit nicht mitgedacht wird.“

Die beiden stehen eine Woche später in der Küche der fertig ausgebauten Almlounge, einer Art Showroom für Kunden. Im Garten eines alten Einfamilienhauses sind dafür zwei Tiny Häuser zu einer Art geräumiger Luxus-Hütte zusammengestellt.

Pilotprojekt in Erding

„Das große Einfamilienhaus wird auch in Zukunft noch seine Berechtigung haben. Und seine Liebhaber“, betont die 33jährige gelernte Bürokauffrau, „aber es gibt einfach immer mehr Menschen, die sich etwas anderes wünschen.“ Bisher galt: Ein Grundstück, darin ein Baufenster, darin ein Haus, Garten rund herum. Die Bauvorschriften einer herkömmlichen Neubausiedlung orientieren sich immer noch an diesem Lebensmodell und dieser Tradition, auch wenn sie vielen mittlerweile unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten als Auslaufmodell gilt. Parzellen für mehrere Tiny-Haus-Parteien aufzuteilen oder bereits bebaute Grundstücke um Module zu ergänzen, ist häufig nicht erlaubt. In Erding hat sich deshalb der Verein „Tiny Houses Bayern“ für eine eigene Siedlung eingesetzt, die im Januar 2021 auch vom Stadtrat genehmigt wurde. Momentan laufen immer noch die Vorbereitungen für die etwa 17-19 Holzhäuser, die auf 7000 Quadratmeter Brachfläche entstehen sollen. In öffentlichen Diskussionen kommen dabei immer wieder Vorurteile und Klischees zum Vorschein. Vom Wildcampen, das die Landschaft verschandelt, oder von den anrüchigen Trailer-Parks, wie man sie aus amerikanischen Sozialdramen kennt.

„Auch wenn man das Haus theoretisch woandershin mitnehmen kann, das steht auf Betonfundamenten. Das hat mit einem Wohnwagen nix zu tun. Im Endeffekt ist ein Tiny House so massiv wie ein Einfamilienhaus.“ Leon Putz klopft demonstrativ an die Holzbalken und zeigt uns das geflieste Badezimmer. „Die Technik ist noch nicht so weit, dass das Haus komplett autark sein könnte. Was wir derzeit noch brauchen ist ein Wasser- und Stromanschluss. Den Rest regelt eine Luft-Wärme-Pumpe.“ In naher Zukunft könnten aber die Photovoltaik-Module den kompletten Strom- und Energie-Bedarf decken.

Kuschelige Raumwunder – Jeden Zentimeter schlau nutzen

Tatsächlich unterscheidet das Tiny House hier nur wenig von anderen Wohnungen. Die Materialien sind hochwertig, die Elektrogeräte auf dem neuesten Stand, die Einrichtung modern und gleichzeitig gemütlich. Nichts klappert oder ist provisorisch. Dafür ist alles bis ins Detail durchdacht. Die Herausforderung ist immer wieder, wie lässt sich durch kleine Tricks Platz gewinnen. Das 1,40 Meter breite Bett etwa lässt sich beim Hochklappen verschwinden und verwandelt sich zum praktischen Wandregal. Ständig kann überall etwas ausgezogen oder eingeklappt, hochgefahren oder versenkt werden. „Kleine Raumwunder mit großem Gemütlichkeitsfaktor“, sagt Michelle Kammermeier und lacht. Die Idee zur Tiny-House-Firma kam ihrem Mann Karl-Heinz, der ebenfalls in der Baubranche tätig ist. „Der hat auf jeder Familienfeier gesagt, wär das nix für dich“, erzählt Leon, „und dann sind wir zu einer großen Messe nach Ulm gefahren. Und da hab ich erst mal gesehen, was es bei diesem Thema für riesige Möglichkeiten gibt. Dann war klar, das will ich machen.“

Mit weniger glücklicher sein – Minimalismus und Konsumverzicht

Ein kleines, neues Universum des Wohnens. Denn wer sich für ein Tiny House entscheidet, wählt nicht selten auch ein bestimmtes Lebensmodell. Leon hat selbst ein Jahr lang in einem seiner Holzhäuser gelebt. Ohne riesigen Keller und Abstellraum, ohne den Luxus von 5 Zimmern-Küche-Bad. „Erst mal musste ich ausmisten, da war ich konfrontiert mit der Frage, was ich behalten will, was mir überhaupt wichtig ist. Und dann überlegst du dir beim Einkaufen natürlich dreimal, ob du jetzt dieses oder jenes Teil wirklich brauchst. Ich denke schon, dass man in gewisser Weise bewusster lebt.“ Besonders wer konsumkritisch und nachhaltig orientiert leben möchte, fühle sich vom minimalistischen Anspruch im Tiny-House angezogen, erklärt Leon: „Da sind aber auch viele Familien mit mehreren Kindern dabei. Für die ist zwar ein Modul meist zu eng. Dann gibt es die Möglichkeit, mehrere Häuser zusammenzustellen oder sie als L anzuordnen.“ Ein großer Teil dieses Lifestyles spielt sich eh draußen ab, im Grünen. Deshalb gehört zu einem ordentlichen Tiny House auch immer eine schöne Terrasse. „So fällt einem auch die Decke nicht so schnell auf den Kopf.“

„Austrags-Häuschen“ im Mehrgenerationenmodell

Beim Schritt in den Garten kommen die beiden noch mal auf das Thema Grundstücke zurück. „Man darf nicht vergessen, diese riesigen Häuser auf diesen riesigen Grundstücken, das alles zu erhalten, zu putzen, zu pflegen, geht an die Substanz. Oft wohnen da alleinstehende Senioren, die froh wären, wenn sie etwas entlastet würden“, erzählt Michelle Kammermeier. Was ihr vorschwebt ist ein spezielles Mehrgenerationenmodell. Die Älteren ziehen in ihr „Austrags“-Tiny House in den Garten, das große Haus wird frei für Kinder und Enkelkinder oder für andere junge Familien, die den Wohnraum dringend brauchen. Neben der Planung der Entwürfe und der Produktion in der Zimmerei ist die Suche nach Grundstücken mittlerweile zur Hauptaufgabe der jungen Unternehmer geworden. Mit mäßigem Erfolg.

Findige Grundstückbesitzer gesucht

Angesprochen könnten sich auch Grundstückseigentümer fühlen, die ihre erschlossene Fläche eigentlich für Ihre Kinder oder einen späteren Verkauf aufheben möchten, irgendwann, vielleicht erst in 20 Jahren. Die könnten temporär anderen ihren Wohntraum ermöglichen und gleichzeitig gutes Geld verdienen. Oder Landwirte, die um die Hofstelle oder entlang von Betriebsgebäuden Flächen verpachten, die sie bislang nicht anders nutzen konnten. Nicht zuletzt Kommunen, die Freiflächen, vielleicht auch nur vorübergehend, zur Verfügung stellen, ohne dass sie gleich für alle Zeiten blockiert oder versiegelt wären. Michelle Kammermeier seufzt. „Eigentlich könnte es eine Win-Win-Situation sein: Familien und Singles, die sich in das minimalistische Wohnen verliebt haben, können das endlich auch hier in Ihrer Heimat machen. Und Grundstücksbesitzer können ihre Flächen gewinnbringend verpachten, ohne sich für alle Zeiten festzulegen.“ Leon hat sein Tiny House jüngst wieder gegen eine normale Wohnung getauscht. Er wurde zum ersten Mal Vater.  „Da ist es vermutlich nicht mehr so einfach, Ordnung zu halten.“ Eingezogen ist Michelles Mutter. Deren Fazit nach dem ersten halben Jahr: Schön zu sehen, wie wenig man eigentlich braucht.